Hetzjagd Hastige Schritte unterbrechen die Stille der Nacht. Hier und da knackt ein Ast, rascheln Blätter, oder rollen und rumpeln kleine Steine. Der Schatten einer Gestalt huscht durch die Dunkelheit. Hastig bahnt sie sich ihren Weg durch den dichten Wald, immer bestrebt schnellstmöglichst voran zu kommen, ohne gegen einen der zahllosen Bäume und Sträucher zu stoßen. Hinter der Gestalt erscheint der Wald plötzlich rötlich, als würde bereits die Sonne sich erheben wollen, doch steht der Mond noch hoch am Himmel und der Sonne Zeit ist noch fern. Fackelschein ist's, der sich seinen Weg durch das dichte Unterholz zu bahnen versucht. Stimmen werden lauter. Rufen, Brüllen und auch lautes Fluchen wird hörbar. Panisch sieht sich der Verfolgte um, ohne auch nur einen Moment ans Stehenbleiben zu denken. Er fliegt nur so durch den finsteren Wald dahin. Was seine Beine herzugeben vermögen, holt er aus ihnen heraus. Hinter ihm wartet der sichere Tod, immer dicht auf seiner Fährte. Das wilde Pochen seines Herzens, das Keuchen seiner Lunge, das Rauschen des Windes, das Rufen, das Knacken der Äste die er zertritt, alles wird eins. Nur ein einziger Gedanke hämmert in seinem sonst leeren Kopf: "Lauf!" Sollte er nur einmal stürzen, oder auch nur kurze Zeit stehen bleiben, so ist sein Ende gewiss. Kaum gedacht, so stolpert er leicht über eine hochstehende Wurzel. Glücklicherweise stürzt er nicht, doch verliert er kurz an Geschwindigkeit. Da hört er auch schon das Pfeifen dutzender Pfeile die durch die Dunkelheit schwirren. Was ihr Ziel ist weiß er nur zu gut. Während er weiter hastet fährt einer der Pfeile nur wenige Zentimeter neben seinem Kopf in die Rinde eines Baumes. Die Todesangst verdoppelt seine Kräfte und es ist, als würde er im Laufen kaum mehr den Boden mit seinen Füßen berühren, so sehr rennt er um sein Leben. Langsam schwinden seine Kräfte. Es fällt ihm immer schwerer seine Beine zum Laufen anzutreiben. Inzwischen muss er sich auch hin und wieder kurz an einem Baumstamm abstützen, bevor er mehr weiter taumelt als läuft. Nichts wünscht er sich sehnlicher, als dass diese Jagd endlich aufhören möge. Eines natürlichen Todes möchte er sterben, nicht durch die Hände eines wilden Mobs. So holt er noch einmal alles aus seinen Beinen, was noch zu holen ist und hastet weiter. Da plötzlich wird der Wald vor ihm lichter und eh er's sich versieht, steht er auf einer, durch des vollen Mondes hellen Lichts, hell erleuchteten, endlosen Wiese, welche sich sanft im warmen Winde der Nacht wiegt. Kurz bleibt er stehen um zu Atem zu kommen, da bemerkt er plötzlich, dass sein Arm sich nass anfühlt. Als er an sich herunter sieht, wird ihm bewusst, dass einer der Pfeile sein Ziel nicht verfehlt hat. An der rechten Schulter, direkt oberhalb des Oberarms, steckt der Schaft eines Pfeiles und das Blut läuft ihm, wie ein breiter Strom den Arm hinab, verräterisch tropfend eine Spur am Erdboden hinterlassend. Da hört er erneut das Rufen hinter sich im Wald. Ängstlich sieht er hinter sich, doch ist der Fackelschein noch nicht zu sehen. Erneut setzt er sich in Bewegung und hastet über die Wiese. Da erblickt er vor sich auf der Wiese einen kleinen Hügel, auf welchem eine Trauerweide einsam und verlassen steht. Er rennt darauf zu, weniger in der Hoffnung sich verstecken zu können, als vielmehr mit der Absicht, einen besseren Überblick über die Umgebung zu erhaschen. Doch als er sich der Weide bis auf wenige Schritte genähert hat, fährt er vor Schreck wie vom Blitz getroffen zusammen. Vor ihm sitzt, direkt auf einem Steine, welcher vor der Trauerweide liegt, der Sensenmann höchstselbst, sein "Gesicht" im Schatten seiner Kapuze verborgen. Seine schwarze Kutte bewegt sich seicht im Winde der Nacht, die Klinge seiner Sense reflektiert den hellen Schein des Mondes. Mit einer Stimme wie aus dem Grabe selbst, fragt ihn der Sensenmann: "Wohin so eilig in dieser herrlichen Nacht?" Der Verfolgte, noch völlig außer Atem und starr vor Schreck vermag nicht zu antworten. Da spricht der Sensenmann zu ihm: "Ich hörte es sei dein Wunsch, eines natürlichen Todes zu sterben. Sag, ist dem wirklich so?" Der Gefragte vermag nur stumm zu nicken, seine Angst versagt ihm die Stimme. "Dies würde voraussetzen, dass dich deine Verfolger nicht in ihre Finger bekommen, sonst wäre es um dich geschehen. Sag, ist es dein Wunsch, dass ich dir deinen Wunsch erfülle?" Wieder nickt der Gefragte, auf dem Gesicht bereits den Ausdruck der Erleichterung tragend. Da erhebt sich der Sensenmann von seinem Stein, geht langsam auf den Verfolgten zu. Als er vor ihm steht spricht er: "So sei es.", und legt dem Gehetzten seinen knöchernen Zeigefinger auf die Brust Da öffnen sich plötzlich die Augen des Berührten weit, sein Gesicht wird schlaff und sein Ausdruck gleicht dem des Erstaunens. Bleich wird seine Haut, ja, geradezu aschfahl. Er sinkt zusammen, fällt zur Erde und ist tot. Laut lachend steht der Sensenmann in mondesheller Nacht vor dem leblosen Körper. Und noch während das Lachen über die Wiese verhallt, zieht in der Ferne eine dunkle Gewitterfront auf. Und wo eben noch der Tod gestanden hatte, liegt nur noch der Körper des Toten, über welchen nun der kühler und stärker werdende Wind dahin jagt. Und nur noch das Rauschen des herannahenden Sturmes und das ferne Donnergrollen sind zu vernehmen.